Der Ring des Nibelungen. Bayreuth 1976 - 1980

Eine Betrachtung der Inszenierung von Patrice Chéreau und eine Annäherung an das Gesamtkunstwerk

3.6 Chéreaus Pessimismus

Die Kritik warf Patrice Chéreau vor, in seiner "Ring"-Inszenierung eine zutiefst pessimistische Haltung anzunehmen, die nicht gerechtfertigt sei. Dem entgegnet der Regisseur:

Ich glaube, es war Adorno, der sagte: "Der Pessimismus Wagners ist die Haltung eines Rebellen, der seine Rebellion verraten hat." Wenn das der Fall ist - und ich bin dieser Meinung -, müßten wir eigentlich von diesem Pessimismus weit entfernt sein, haben wir doch weit mehr Gründe, uns auch heute anzuhören, was Wagner zu sagen hat und was wir von einem solchen Pessimismus lernen können. (20,143f.)

Der Pessimismus, der sich in Chéreaus Inszenierung äußert, kann also mit dem zornigen und pessimistischen Blick des exilierten Revolutionärs Wagner auf seine Welt verglichen werden. Ebenso wie Wagner ist dabei auch Chéreau nicht von Schopenhauer beeinflußt. Der "Ring"-Text war fertigt, bevor Wagner auch nur eine Zeile von Schopenhauer gelesen hatte. Die Stelle, die am meisten als schopenhauerisch gilt, nämlich Wotans Verzweifeln an der Politik und Wagners pessimistische Kritik am Machtpolitiker Wotan, also das Ende des zweiten Aktes der "Walküre", blieb stehen, wie sie schon dastand. Es kommt allerdings zu einem interessanten Gleichklang von Schopenhauers Pessimismus und dem Wagners. Schopenhauers Pessimismus, der davon ausgeht, daß die Selbstverneinung des Willens die Selbstzerfleischung alles Lebens beenden soll, ist Weltflucht, ist unpolitisch, in seiner Konsequenz dennoch antipolitisch.

Patrice Chéreau kommt in seiner "Ring"-Inszenierung durch einen skeptisch-konkreten Blick auf den Zustand der Welt, und weil er den an der Politik verzweifelnden Revolutionär Wagner ernst nimmt, zu einem politikfeindlichen Fazit. Politik, so zeigt es der "Ring", ist zielvolles Eingreifen in das Bestehende; das Ziel heißt dabei: Fortsetzung des Leidenskampfes.

Das mit dem Ziel einer menschenwürdigen Ordnung begangene Verbrechen Wotans an der Natur wird als Wille zur Macht zum grausamen Verbrechen am Menschen selber, zum Verbrechen an seiner Freiheit. Diese Sicht Chéreaus auf den "Ring" ist letztlich eine zutiefst antizivilisatorische, die mit dem Zivilisationspessimismus in Wagners Kunstschriften durchaus übereinstimmt.

Chéreaus Sicht auf den "Ring" ist auf keinen Fall simple, linke Ideologie, sondern fußt auf eine Weltanschauung, die sich jeglicher politischen Ideologie verweigert. Somit ist das, was Chéreau inszeniert hat, nicht nur eine politische Tragödie, sondern es ist die Tragödie der Politik.